Geist

Schematische Darstellung, grobe Kategorisierung und Kurzdefinitionen der grundlegenden Begriffe aus Psychologie und/oder Philosophie zu geistigen Phänomenen
Abbildung aus Robert Fludds Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris […] historia

Geist (altgriechisch πνεῦμα pneuma,[1] νοῦς nous[2] und auch ψυχή psyche,[3] lateinisch spiritus,[4] mens,[5] animus bzw. anima,[6] hebräisch ruach und arabisch rūh, englisch mind, spirit, französisch esprit) ist ein uneinheitlich verwendeter Begriff der Philosophie, Theologie, Psychologie und Alltagssprache.[7] Statt des Adjektivs geistig wird fachsprachlich auch der Ausdruck mental gebraucht.

Man kann grob zwischen drei Bedeutungen des Begriffs „Geist“ unterscheiden:

  • Allgemeinsprachlich steht geistig für die kognitiven Fähigkeiten des Menschen, während Geist meist ein Synonym für die individuelle menschliche Psyche (Wahrnehmung, Gefühl, Bewusstsein, Denken, Erinnerung, Motivation, Konzentration, Kreativität, Träume und vieles mehr) ist.
  • In Wissenschaft und Philosophie wird die Bezeichnung Geist unterschiedlich und oft im Sinne der allgemeinsprachlichen Bedeutung verwendet. Wenn es um das Verhältnis zum Körperlichen geht, handelt es sich oftmals um einen Oberbegriff für jegliche Formen subjektiver Innerlichkeit von Lebewesen oder – je nach philosophischer Denkrichtung – darüber hinaus.
  • Mit religiösen Vorstellungen von einer Seele bis hin zu Jenseitserwartungen verknüpft, umfasst Geist die oft als spirituell bezeichneten Annahmen einer nicht an den leiblichen Körper gebundenen, nur auf ihn einwirkenden reinen oder absoluten, transpersonalen oder gar transzendenten Geistigkeit, die als von Gott geschaffen oder ihm gleich oder wesensgleich, wenn nicht sogar mit ihm identisch gedacht wird. Heiliger Geist wird in der christlichen Vorstellungswelt dagegen der „Geist Gottes“ genannt, der als Person der göttlichen Dreieinigkeit verstanden wird.

Die Frage nach der „Natur“ des Geistes ist ein zentrales Thema der Metaphysik, da es sich dabei um ein stark vereinfachtes und verändertes, immaterielles „inneres Modell“ der Umwelt eines bestimmten Subjektes handelt, das ihm die Orientierung in „seiner“ Welt ermöglicht. Diese „Abbild“ hat zwar seine Ursache in der objektiven Welt, ist aber selbst immateriell und entzieht sich damit der physischen Untersuchung durch die Naturwissenschaften.

In der Tradition des deutschen Idealismus bezieht sich der Begriff hingegen auf überindividuelle Strukturen. In diesem Sinne ist etwa die hegelsche Philosophie zu verstehen, aber auch Wilhelm Diltheys Konzeption der Geisteswissenschaften.

  1. Von altgriechisch πνέω pnéo oder πνείω pneío „wehen, blasen, hauchen, aushauchen, atmen“. „pneuma“ bedeutet demnach „Hauch, Luftstrom“ (auch „Fahrwind“, sogar „Duft“) sowie „Atem“ und „Leben“ wie bei psyche (siehe unten), ähnlich wie dort auch „Mut“, aber auch „Feuer“ (wohl „inneres“ wie in „feuriges Temperament“ oder „feuriger Mensch“). – Bemerkenswerter noch erscheint der Ausdruck ἱερόν πνεῦμα hieròn pneuma (wörtlich „heiliges pneuma“). Nach dem „Griechisch-Deutschen Schul- und Handwörterbuch“ von Wilhelm Gemoll bedeutet er nicht, wie naheliegen würde, „Heiliger Geist“, sondern „Verzückung“ („Entrückung“) und „Besessenheit“, der Ausdruck ἐν πνεύματι en pnéumati denn auch „in Ekstase“ (oder „außer sich“ bzw. „in Trance“). Der christliche Ausdruck „Heiliger Geist“ wird nach Gemoll mit ἅγιον πνεῦμα hágion pneúma oder πνεῦμα τὸ ἅγιον pneûma tò hágion wiedergegeben mit „hágion“ für das Heilige, Heiligste, Allerheiligste, wobei in christlich-religiösen Zusammenhängen „pneuma“ auch Engel heißen kann.
  2. Oder νόος nóos (siehe Noologie) – von indogermanisch *snó[w]os für „(Gesichts-)Sinn“ (vergleiche lateinisch sensus) aus *sent- für „gehen“ (und „reisen, fahren“). Der große Duden gibt in Band 7 des Herkunftwörterbuchs der Deutschen Sprache im Eintrag „Sinn“ für die Wurzel *sent-, auf die auch lateinisch „sentire“ („wahrnehmen, fühlen empfinden“) zurückgeht, die noch ältere Bedeutung „eine Fährte suchen“ (sc. mit den Augen) an. νοέειν noéein bedeutet daher (im Unterschied zum mehr gefühlsmäßigen Wahrnehmen, das mit lateinisch sentire gemeint ist) offensichtlich „per Sehsinn wahrnehmen, bemerken“ und „erkennen“, auch „geistig erkennen“ sowie – selbst im Deutschen – „ein-sehen“ (sc. mittels visueller Vorstellungen – siehe Colin McGinns Abhandlung „Mindsight/Das geistige Auge“ 2004/2007), darüber auch „denken“ in allen Formen wie „an etwas denken, ausdenken, bedenken“ und „erdenken, ersinnen“, „nous“ oder „noos“ dann also „Aufmerksamkeit“ („auf etwas richten“ – wie die Augen!), sodann „Rück-Sicht, in den Sinn (kommen)“ – etwa in Form eines „vor das innere Auge Tretens“ u. ä.; deshalb dann vor allem das „Vermögen geistiger Wahrnehmung“ (siehe „Über-blick“!), „Ein-Sicht, An-Sicht“ und „Verstand, Vernunft“ (von „vernehmen“!), sogar „Vermögen des Wollens, Ab-Sicht“ bis hin zu „Empfindungsvermögen, Gesinnung, Sinnesart, Gemüt“ und „Herz“ bis zu „Seele“ (ganz ähnlich wie bei psyche; siehe auch Julian Jaynes Noos in seiner psychohistorischen Studie Die Entstehung des Bewußtseins 1993, S. 327–329)
  3. Von dem Verb ψύχειν psýchein für „atmen, hauchen, blasen“, auch „(ab)kühlen, erkalten, trocknen“. Psyche bedeutet demnach zuerst „Atem, (Atem-)Hauch“, dann aber auch „Atem als Lebensprinzip“, „(Zeichen von) Lebenskraft“, ja „Leben“ überhaupt. Weiterhin stand psyche bei den Griechen auch für den „Schatten“ von Toten nach dem „Verlust des Lebens“ (eine Vorstellung, die später mit animistischen Seelenvorstellungen vermengt wurde, so dass psyche heute auch „Seele“ bedeuten kann). Im Einzelnen steht psyche für folgende, überwiegend oder ausschließlich der Eigen- oder Selbstwahrnehmung zugängliche Lebenserscheinungen wie „Denkvermögen, Verstand“ und „Klugheit“, sodann „Gemüt, Herz(haftigkeit)“ sowie „Mut, Sitz der Leidenschaften, Begehrungsvermögen, Lust“ und „Appetit“ bis hin zur Bezeichnung oder Umschreibung der (ganzen) Person, des „Wertvollsten“ und „Kostbarsten“, womit die Grundlage moderner Psychologie recht gut angegeben wäre. (vergleiche zum Ganzen auch Julian Jaynes: Psyche. In: Die Entstehung des Bewußtseins. 1993, S. 329–331 u. 350–356; zu der an verschiedenen Stellen im WWW online gestellten PDF-Fassung des deutschen Textes siehe Anmerkung unten)
  4. Von spirare für „wehen, hauchen, seufzen, brausen, schnauben, ausatmen, leben, (aus)duften, ausatmen, aushauchen, erfüllt, beseelt sein, dichten“ – (siehe auch Spirometer); spiritus steht darum für „Luft, Hauch, Atem“ und „Atmen, Atemzug, Lebenshauch, Seufzer, Leben, Anhauch, Mut, Hochmut, Übermut, Stolz“ und „Sinn“ sowie „Gesinnung, Begeisterung“ – oder „Geist“ – bis hin zu „dichterischem Schaffen“ und den ätherischen „-geist“ genannten Spirituosen (wie in Himbeergeist) oder ebenso ätherisch dem Salmiakgeist.
  5. Einerseits „Denkkraft“ (oder „Denkvermögen, Verstand, Vernunft, Einsicht“) und „Geist, Denkart“ sowie „Sinnesart“, andererseits aber auch „Gemüt“ mit allen Gemütsaffekten (wie Zorn, Leidenschaft oder Mut); davon abgeleitet auch für „das Gedachte, die Gedanken“, aber auch „Erinnerung“ auf der einen sowie „Meinung“ und „Absicht“ auf der anderen Seite. – Bemerkenswerte und vielsagende etymologische Beziehungen sowie psychologisch weitreichende sachliche Zusammenhänge bestehen zu lateinisch memini („sich erinnern, gedenken, daran denken“) sowie altgriechisch μένος ménos („heftiges Verlangen, Eifer, Zorn, Kampfesmut, Schwungkraft, Lebenskraft“ wie überhaupt „(Helden-)Kraft“ und „Stärke“) sowie schließlich auch zu altgriechisch μαίνομαι maínomai für „rasend machen/werden“ oder „in Raserei versetzt werden“ (Manie!), „wüten, toben“, aber auch „begierig/verzückt/weintoll/betrunken sein“ oder „liebestoll sein“. – Auch bei mens, von dem sich unsere Fremdwörter mental und Mentalität herleiten, zeigt sich demnach derselbe historische Bedeutungswandel von Emotionalem zu Geistigem wie bei Geist (siehe entsprechende Anmerkung).
  6. Im Unterschied zur davon weit abweichenden Verwendung der Wörter „Animus und Anima“ bei C. G. Jung geht lateinisch animus auf den Atem als solchen zurück – und weniger wie spiritus sowie pneuma und psyche auf die Bezeichnung der Aktivität Atmen; etymologisch steht „animus“ mit altgriechisch ἄνεμος ánemos für „Wind“ und „Sturm“ im Zusammenhang.
  7. Nach Der große Duden geht „Geist“ etymologisch auf die indogermanische Wurzel *gheis- zurück. Interessanterweise wird damit ursprünglich auch hier nichts im heutigen Sinn Geistiges gemeint, sondern in diesem Fall eine emotionale(!) Reaktion, und zwar die des – psychologisch gesehen bemerkenswerten und für uns Menschen wortwörtlich „eigenartigen“ – Erschauderns oder Ergriffenseins, des Erregt- oder Aufgebrachtseins. Der historische Wandel der Bedeutung von „Geist“, nach dem es heute möglich ist, von „geistigen Vorgängen“ wie Wahrnehmen, Erinnern, Vorstellen, Träumen, Phantasieren und anderen Formen des Denkens zu sprechen, dürfte mit Umständen und Zusammenhängen zu tun haben, die Julian Jaynes in seinem epochalen Werk Der Ursprung des Bewusstseins schildert (siehe dort vor allem II/5 „Das intellektuelle Bewußtsein der Griechen“ S. 311–356; zu der an verschiedenen Stellen im WWW online gestellten PDF-Fassung des deutschen Textes siehe Anmerkung unten). Nach dem Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Dirk Hartmann (in „Philosophische Grundlagen der Psychologie“ S. 80f.) wird „Geist“ heute ähnlich wie Zeit, Raum, Stoff oder Materie u. ä. Allgemeinbegriffe am besten als sogenannter „Reflexionsterminus“ verstanden: ein Wort, „mit dem eine Kategorisierung bestimmter Aussagen“ angezeigt werden soll; er schlägt daher vor, „Geist“ im wissenschaftlichen Sprachgebrauch auf die Kennzeichnung von „Aussagen über Kognitionen“ zu beschränken (und damit von Emotionen, den umgangssprachlich sog. „gefühlsmäßigen Reaktionen“ oder dem „Gefühlsleben“ der Alltagspsychologie zu unterscheiden).

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